Marokkos Süden -
Eindrücke einer zweiwöchigen Reise
Vielerlei Bilder stehen vor mir, wenn ich an Marokkos Süden denke: die Gebirge des Atlas, des Anti Atlas und die südlich davon liegenden markanten Bergketten mit fruchtbaren Ebenen, mit jahrhundertealten Resten von Kalifenpalästen und Kasbahs (Wohnburgen), die Souks wie vor 100 Jahren, Palmentäler und Oasen, und weiter im Süden die Stein- und Sandwüsten mit Dünen von über 150 m Höhe. Die Menschen dort zeigen oft Freude, wenn man auf ihre Fragen antwortet, daß man aus Deutschland kommt.
Zwei Wochen reiste ich von Agadir bis zu den Dünen von Merzouga, 2200 km nach eigener Einteilung, mit öffentlichen Bussen, Sammeltaxis und als Anhalter, wenn es keine öffentlichen Verkehrsmittel gab. Dadurch war überall reichlich Zeit zum Schauen, für Gespräche und zum Skizzieren und Malen.
Die Stationen: Taroudant - Ouarzazate - Tamegroute - Rissani - Merzouga - Erfoud - Errachidia - Ouarzazate - Agadir.
Notizen aus dem Tagebuch:
Nach 1 ½ Stunden Flug von Stuttgart liegt rechts unten rotes und gelbes von der Sonne verbranntes Gebirgsland Spaniens; links erscheint Afrika. Aus Nebelbänken hebt sich der Atlas. Das Flugzeug schwenkt hinüber. Rechts leuchtet jetzt die Brandung des Atlantik. Dann die Landung in Agadir um 12.30 Uhr. Während ich draußen auf den Bus Linie 22 zum Umsteigeplatz Inezgane warte, kommt ein Gespräch in Gang. Der Getränkeverkäufer warnt mich vor Taschendieben in Inezgane. 13.30 Uhr: der Bus ist da; voller Schulkinder. In Inezgane bringt mich der Busschaffner selbst zum Sammeltaxi nach Taroudant, dem Ziel für den ersten Tag. Das Taxi, ein älterer Mercedes PKW, hat gerade noch auf mich als sechsten Passagier gewartet. Durch fruchtbar es Ackerland ist das Ziel bald erreicht.
An der 8 m hohen Stadtmauer aus gestampftem Lehm mit Zinnen ist der Taxihalteplatz. Einer der Fahrgäste von der hinteren Bank erbietet sich, mir den Weg zu meinem Hotel zu zeigen. So laufe ich hinter ihm durch die Wege des Souk. Am anderen Ende liegt mein Hotel „El Warda". Das Zimmer mit Kaltwasser und Bad kostet 4 Euro. Dann lade ich Abderrachmane zum Tee auf der Terasse über dem Stadtplatz ein. Den Rest des Tages verbringe ich mit einem Rundgang und mit Zeichnen. Auf Straßen und Plätzen quirlt Afrika. Ich esse meine erste Tajine, nur mit Hand und Brot. Bei der Rückkehr ins Hotel erhalte ich ein Geschenk, das mein Freund mit dem Kalifennamen für mich abgegeben hat: Grüne bestickte Prinzeßschuhe. Leider habe ich seinen Laden im Souk am nächsten Morgen auch mit Unterstützung nicht mehr gefunden. Ich habe ihm dann eine Postkarte geschrieben.
2. Tag: 5 Stunden mit dem Bus durch den Atlas nach Ouarzazate, und 3 Tage dort.
Drei Mann Besatzung hat der Bus: den Fahrer, den Billettverkäufer und den Aufseher. Dieser entscheidet, wie viele Leute unterwegs zusteigen dürfen, wie die Lasten geladen werden, wann es weitergeht, er schlichtet Meinungsverschiedenheiten und verhandelt mit den Polizeikontrollen unterwegs. Zur Essenspause haben die Restaurants am Halteplatz bereits Mahlzeiten vorbereitet. Hinter den Pässen, wo Atlas und Anti Atlas sich treffen, liegt Ouarzazate. Wegen der Berg- und Palmenkulissen und den Kasbahpalästen kommen die Filmemacher aus der ganzen Welt hierher; einige haben hier eigene Paläste.
Durch Ait Benhaddou habe ich mich von einem Jungen führen lassen, den ich im Caf é dort vermittelt erhielt. Später wartete der Vermittler gemeinsam mit mir auf ein Auto nach Hause, und am Ziel lud er mich zum Tee ein: wir betraten ein Teppichlager aus der Sahara. Zu den Kasbahs Tifoultoute, Cigogne und Tariourirt wanderte ich zu Fuß. Und bei „Dimitri" habe ich gespeist. Unter den Fotos von Hitchcock und vieler anderer Stars und neben der humorvollen Gebietskarte, die 1945 ein Deutscher gezeichnet hat und die seither dort an der Wand hängt. Eine Erkältung, die mich auch noch in der Wüste plagte, habe ich mir beim Essen und Malen auf der Dachterasse des Restaurants vor der Kasbah Tariourirt geholt. 5 Gänge unter einem Sonnendach und zwei Bilder, aber etwas zugig. Zum Abschied kommt Jalil mit dem Rad und mit einem Freund zur Bushaltestelle; zu acht trinken wir Tee im Straßencafé.
5. Tag: In den Süden nach Zagora und zur Koranbibliothek in Tamegroute.
Auf dem Weg nach Süden windet sich der Bus hinauf ins Gebirge.Überall haben die Erosionen grandiose Bergformen gebildet. Einsame Dörfer, dann eine ehemalige Festung, und nach einer Kurve liegt an einer Kreuzung das Wüstenstädtchen Agdz, wie am Ende der Welt. Danach geht es hinab ins fruchtbare Dráa-Tal. Dattelpalmen und Dörfer mit Kasbahs bilden einen märchenhaften Kontrast zur Kargheit des Gebirges.
Am Ziel des Tages, in Tamegroute, entläßt mich der Bus auf einen weiten mit Palmen bestandenen Dorfplatz. Helfer sind sofort zur Stelle: ein alter Herr im weißen Keftan führt mich an der Moschee vorbei zum Marabou, zeigt mir die herrliche Intarsienrosette an der Decke des Eingangs - 2 m im Durchmesser - und deutet auf die Kranken und Gebrechlichen, die am Wasserbecken liegen und vom Wasser und der Wirkung des hier begrabenen Heiligen Linderung ihrer Leiden erhoffen und um milde Gaben bitten. In der Koranbibliothek nebenan zeigt mir ein asketischer junger Gelehrter die Schriften zu allen Gebieten des Islam, die ältesten aus dem 12. Jahrhundert.
Auf der Straßenseite gegen über finde ich hinter einem hohen Portal die Auberge einer Schweizerin. Im Pavillon im Palmengarten werde ich mit Tee begrüßt. Ein reich geschmücktes Zimmer erwartet mich im Obergeschoß der Kasbah. Gespeist wird unter dem Baldachin des Beduinenzelts. Da erfahre ich, daß die hier in der Nähe liegenden Dünen des Erg Chegaga erst nach 3 bzw. 6 Tagen Kamelritt zu erreichen sind. In Merzouga, 300 km östlich, kann man direkt an den Dünen wohnen. Ich beschließe, zu reisen. Davor noch ein Besuch in der Töpferei. Im Dorf selbst möchte man keine Touristen haben.
6. Tag, Sonntag. Über Zagora, Tazzarine und Rissani zu den Dünen von Merzouga
In Zagora hoffe ich, einen Bus in Richtung Rissani zu finden. Mit dem Taxi - 11 Personen im PKW - sind die 18 km nach Zagora rasch g eschafft. Da der Bus erst um 17 Uhr und dann durch die Nacht fährt, lädt mich ein tüchtiger Händler bis dahin auf die Ruhebank und in den Schatten seines Ladens ein. Ich nehme lieber das Sammeltaxi und finde anschließend einen Transporter, der mich durch das Sandwüstengebirge bis Rissani mitnimmt. Im Laderaum kocht auf offener Flamme das Mittagessen, das wir nach 2 Stunden Fahrt gemeinsam einnehmen. In Rissani bringt mich der „Bruder" des Fahrers mit dem Moped zu einem Freund, der am Abend in die Auberge eines Vetters direkt an den Dünen fährt. Der Treffpunkt entpuppt sich als Teppichladen. Es gibt Tee. Als Freund der Familie soll ich das Zimmer in der Auberge um 2 DM billiger erhalten. Die Nachtfahrt durch die Wüste werde ich nie vergessen: das Loch in der Brückenfahrbahn ist nur auf Eisenstäben zu überfahren, im Scheinwerferlicht leuchten zu umfahrende Steinbrocken auf, zu querende Wadis, Pisten werden gewechselt. Der Fahrer sagte, manchmal fahre er diese Strecke zweimal am Tag. Wir werden im Wüstenksar La H'mada begeistert begrüßt, wohl wegen der frischen Lebensmittel, die wir mitbringen. Die Trommel- und Schellenklänge, die Gesänge und Tänze erfüllen noch lange die Nacht. Hier bleibe ich 2 Tage.
8. Tag, Dienstag. Der Souk Rissani und das französiche Dünenhotel Ksar Sania
Mein Verlangen nach Hotelkomfort mit eigener Toilette wird stärker. Im Reiseführer finde ich ein Hotel im Süden der Dünen, das von Franzosen geleitet wird. Da es keine direkte Verbindung gibt, fahre ich die 35 km durch die Steinwüste nach Rissani, wechsle Geld und suche Postkarten. Ein Souvenirhändler im Souk besorgt sie, und beim Schreiben im Café erkennen mich Berber aus dem Wüstenksar, die irgendwie auch in die Stadt gekommen sind. So habe ich gleich eine Teegesellschaft. Der altertümliche Souk mit den Läden unter den Arkaden, die Kasbahs mit bunten Ornamentkacheln um die Tore, die Eselskarren, das Geschiebe und Geschrei vereinigen sich zu einem Eindruck von Orient, in dem man selbst manchmal wie betäubt mitten darin steht.
Das Taxi - diesmal nur 11 Passagiere, 1 Schaf, 20 Hühner, viele Einkaufstaschen und Baumaterial auf dem Dach - lädt mich nach 35 km Fahrt und vielen Unterwegshalten am Übergang von der Steinwüste zu den Dünenbergen direkt am Eingang des Hotelgartens ab. Ich erhalte ein schönes Zimmer im Garten und fühle mich wie im Paradies. Hier bleibe ich 4 Tage.
Wann ist man in der Wüste? - Man erlebt sich in dem anderen Element, wenn die erste größere Dünenkante überschritten ist, wenn kein Sichtkontakt mehr nach „draußen" besteht. Die anderen Gesetze sind direkt in der Landschaft zu spüren, ähnlich wie im Hochgebirge.
Die Armut der Bewohner ist groß. Jeder in der Großfamilie trägt etwas zum Leben bei. Die Kinder bieten - auch bei Wüstenführungen - Fossilien an, die sie in den Bergen gefunden haben und die im Dorf geschliffen wurden. Schulbesuch unterbleibt daher auf dem Lande oft. Gebrauchsartikel und Kleidung sind im Tausch genau so willkommen wie Geld. Hier sind Französisch und die lateinische Schrift nicht mehr überall gebräuchlich, manchmal wird nicht einmal Arabisch, sondern nur die Berbersprache gesprochen.
12. Tag, Samstag. Rückfahrt über Erfoud, Errachidia nach Ouarzazate.
Der Nachtwächter im langen Umhang mit Hund weckt mich. Vor dem Ksar Sania steht das Taxi. Bis ins Dorf bin ich der einzige Fahrgast. Um 5 Uhr erschallt der Gebetsruf über Lautsprecher. Etwa 20 Minuten lang. Die ersten Sonnenstrahlen blitzen über die große Düne. Dieses Taxi fährt nach Erfoud, erkenne ich erfreut an Merkmalen dieser Piste, die ich aus dem Reiseführer erinnere. Dort habe ich direkt Anschluß an den Fernbus, d er mich in 9 Stunden nach Ouarzazate bringt. Gebirge und Täler wechseln ab, in denen plötzlich ein blaues Wasserband aufblinkt. Daneben liegen Villen in ummauerten Gärten. Die Mittagspause findet mitten im Schlamm eines Dorfmarktes statt. Auto- und Eselparkplätze ringsum. Die Gerüche der Garküchen locken. Berge von Obst, Gemüse und Gewürzen werden angeboten. Zunehmend kommen über die Märkte Plastik- und Billigprodukte ins Land und verdrängen die bisher handwerklich hergestellten und meist schön verzierten Gebrauchsgeräte und Kleidungsstücke. Schön anzusehen sind im Süden die Frauen, die noch den Mlhef tragen, eine 4,5 m lange und 1,5 m breite Stoffbahn aus leichter Voile, bunt und gemustert bei jungen Frauen, schwarz bei älteren. Nur die Augenspalte ist offen.
Bei der Weiterfahrt setzt sich die etwa 5jährige Tochter eines Ehepaars im Bus auf den Sitz neben mir. Sie zeigt mit Gesten, daß sie eigentlich schweigen soll, dann singt sie mir Liedchen vor. Eine kleine braune quirlige Schönheit mit Kulleraugen. - Der Busaufseher spricht kein Französisch. So unterhalten wir uns: er spricht Arabisch, ich Deutsch. Und die Fahrgäste amüsieren sich. - Da im Fernbus nur Sitzplätze belegt werden dürfen, der Busaufseher aber die vielen an der Straße Wartenden nicht abweisen will, gibt es vor Polizeikontrollen ein Problem. Die Stehenden müssen sich auf dem Boden verbergen, es sieht aus wie im Krieg. Der Busaufseher verhandelt mit den Polizisten, damit er nur einen Teil seines Mehrerlöses als Strafe an die Polizisten abgeben muß.
In Ouarzazate miete ich mich im Hotel Gazelle ein, es ist sauber und nahe zum Busbahnhof und zum Zentrum. Die warme Dusche brauche ich bei dem kalten Wind, der hier oben bläst.
13. Tag, Sonntag. Zum Naturschutzgebiet Massa und nach Agadir.
Der Bus fährt mit einer Stunde Verspätung zum Tanken und dann auf die 6stündige Strecke durch das Atlasgebirge in Richtung Meer. In Inezgane steige ich ins Taxi nach Süden. Das Naturschutzgebiet Massa ist im Reiseführer als eine unberührte Palmen- und Buschlandschaft am Meer mit Vögeln und Sandwüstenstücken beschrieben. In der alten Kasbah des Dorfes könne man Unterkunft finden. Der dicke Wirt im weißen Umhang, der öffnet, bietet höflich Touristenfolklore und ein Abendessen an, aber Übernachtung sei nicht möglich. Zum Glück hat mein Taxifahrer gewartet.
In Agadir finde ich im Hotel Ali Baba ein Zimmer am Swimmingpool im blühenden Garten.
14. und 15. Tag, Agadir.
Die Zivilisation hat mich wieder. Ich spaziere zum Meer, male, wandere am Strand entlang und über die Düne ins Touristendorf zurück, esse im Grillrestaurant am Taxibahnhof arabisch Hühnchen mit Pommes, Reis und Salat und sehe mir die Stadt an. In den 8 Jahren seit meinem letzten Besuch hat sich ein beinahe weltstädtisches Zentrum entwickelt. Ja, man sieht auch an den Bauquartieren ringsum, daß Agadir auf dem Weg zu einer Millionenstadt ist. Was die vielen Leute vom Land wohl erwartet, die mit der Hoffnung auf ein besseres Leben hierher ziehen?
Der Rückflug am Dienstag ist 4 Stunden verspätet. Das Flugzeug, das uns holen kommt, konnte in Stuttgart wegen Glatteis nicht früher starten.